Falken, Adler und Geier über dem Edersee
Wer den Wildtierpark Edersee gegen 10 Uhr 30 oder 14 Uhr 30 betritt, trifft auf Scharen von Besuchern, darunter viele Familien mit Kindern, die alle ein Ziel haben: die um 11 bzw. 15 Uhr beginnenden Greifvogel-Flugschau. Sie ist für Gäste und Einheimische immer wieder ein faszinierendes Erlebnis!
Der Wildtierpark ist eine Einrichtung des Nationalparks Kellerwald-Edersee. Der seit 1970 bestehende Park hatte im Jahr 2010 ca. 120.000 Besucher. Für viele von ihnen ist die Flugschau der Greifenwarte die größte Attraktion. Falsch wäre es jedoch, diese bloß als Bereicherung des touristischen Angebots zu begreifen. Die Flugschau der Falkner, die seit Frühjahr 1997 gezeigt wird, ist ein zugleich vorbildliches Beispiel für Umweltbildung, das den Stempel „pädagogisch wertvoll“ verdient. Tiere, die sonst nur aus großer Entfernung beobachtet werden können, sind hier aus nächster Nähe zu bestaunen.
Flugschau der Greifvögel – Highlight im Wildtierpark
Mischen wir uns einmal unter die zahlreichen Schaulustigen an der Flugwiese, hoch über dem Edersee. Der Blick auf den zweitgrößten Stausee Deutschlands und das gegenüber auf einer Bergkuppe thronende Schloss Waldeck bieten eine wunderschöne Kulisse für das Flugprogramm. Die Moderation übernimmt Ludger Kluthausen, Chef der Greifenwarte und seit über 40 Jahren im Besitz eines Falknerscheins. Assistiert von seinem Mitarbeiter Theo Koch, ebenfalls begeisterter Falkner, eröffnet er auch an diesem Tag in den Sommerferien die von Alt und Jung mit Spannung erwartete Schau. Etwa 300 Menschen haben sich versammelt. Maximal wurden schon um die tausend Zuschauer geschätzt.
Der erste Greifvogel, der seine Runden über dem Edersee dreht, ist der Wappenvogel der USA, der majestätische Weißkopfseeadler. Mit einer Spannweite von über zwei Metern ist er der größte Greifvogel Nordamerikas, unverwechselbar mit seinem schneeweißen Kopf und Stoß.
Ein Amerikaner ist auch der Wüstenbussard, der einzige Greifvogel, der in Gruppen jagt. Einige Kinder dürfen den schönen Vogel auf dem ledernen Falknerhandschuh landen lassen, natürlich ein ganz besonderes Ferienerlebnis, und noch ein beliebtes Fotomotiv dazu.
Die dann vorgestellten Luggerfalken, die u. a. in Indien heimisch sind, ähneln den heimischen Wanderfalken. Die Falkner nutzen diesen Vergleich, um Informationen über die Situation dieser Art im Kreis Waldeck-Frankenberg zu geben. Der Wanderfalke hatte hier zuletzt 1966 im Ederseegebiet gebrütet und war dann wie vielerorts in Hessen ausgestorben, insbesondere eine Folge des berüchtigten, mittlerweile verbotenen Insektizids DDT. Im Jahr 2000 gelang erstmals wieder am Rande des jetzigen Nationalparks eine erfolgreiche Brut. Nun gibt es wieder vier Brutpaare, die bis zum Jahr 2010 46 Jungvögel groß gezogen haben (LÜBCKE 2009, ergänzt).
Zur gleichen Zeit sind über dem Edersee nun die Flugspiele von Schwarz- und Rotmilanen zu beobachten, so dass man die charakteristischen Bestimmungsmerkmale im Vergleich gut erkennen kann. Beide Arten errichten frei lebend alljährlich ihre Horste auch im Wildtierpark Edersee. 2010 waren es zwei Schwarzmilan-Paare und ein Rotmilanpaar. Seit 1997 kommt ein Schwarzmilan aus „freier Wildbahn“ regelmäßig zur Flugschau, um sich zugeworfene Futterbrocken abzuholen (DELPHO 2001).
Die Falkner bezeichnen ihn scherzhaft als ihren „freien Mitarbeiter“. Die Kellerwaldregion liegt im Zentrum der auf Mitteleuropa beschränkten Verbreitung des Rotmilans, Grund genug, auf unsere besondere Verantwortung für den größten heimischen Greifvogel hinzuweisen. Er ist auch ein gutes Beispiel, nachdrücklich die Wechselbeziehungen zwischen Nationalpark und umgebender bäuerlicher Kulturlandschaft zu thematisieren. Der Rotmilan brütet zwar auf den alten Buchen im Randbereich des Nationalparks, braucht jedoch Wiesen und Felder, um dort seine Beute zu jagen. Insbesondere ist die Erhaltung des Grünlands von großer Bedeutung.
Nachdem über Jahre hinweg zwei Gänsegeier mit den kinderfreundlichen Name Ernie und Bert in der Greifenwarte Jung und Alt faszinierten, werden zurzeit ein Gänsegeier und ein Sperbergeier vorgeführt. Der Lebensraum dieses so genannten Altweltgeiers sind die afrikanischen Savannen. Am Beispiel der Geier erhalten die Besucher einen interessanten Einblick in deren Nutzung ökologischer Nischen und in ihre Funktion im Lebensraum. Ein verendeter Esel, dem die „Gesundheitspolizisten“ in Spanien zu Leibe rücken, wird ganz unterschiedlich ausgeschlachtet: Die Mönchsgeier fressen das Muskelfleisch, die Gänsegeier die Innereien, die Bartgeier zertrümmern die Knochen und die Schmutzgeier alles, was noch von dem toten Tier übrig geblieben ist, sogar die Blut getränkte Erde. Wenn die Gänsegeier ihren Kopf in die offene Bauchhöhle des Kadavers stecken, dürfen sie keine Scheu vor der Dunkelheit haben. Das demonstriert Ludger Kluthausen, indem er ein Eintagsküken in ein Erdloch legt. Ohne zu zögern, steckt der Gänsegeier seinen Kopf in das Loch, um den Nahrungsbrocken herauszuholen.
Gänsegeier fliegen in den letzten Jahren immer mal wieder von Spanien her nach Deutschland ein. So konnten zwei Nationalpark-Mitarbeiter im Juni 2007 einen Gänsegeier am Rande des Schutzgebietes bei Frebershausen nachweisen (LÜBCKE 2008).
Den Abschluss bildet der Uhu Heinrich. Die Kinder drängeln sich, mit der Hand über sein weiches Gefieder streicheln zu dürfen. So erfahren sie mit dem Tastsinn, warum unsere größte heimische Eule in lautlosem Flug ihrer Beute nachstellen kann. Geboten wird „Lernen mit allen Sinnen“. Und die damit verbundene emotionale Seite in der Umweltbildung sollte keinesfalls gering geschätzt werden. Natürlich berichtet der Falkner, dass der Uhu als eine von fünf Eulenarten auch im Nationalpark lebt. Die Besucher können so exemplarisch nachvollziehen, wie wertvoll der Nationalpark für die heimische Fauna ist.
Ja, die beiden Falkner beherrschen die uralte Kunst, mit Greifvögeln zu jagen und können ihr Publikum begeistern. Das eine halbe Stunde dauernde Trainingsprogramm mit den Herrschern der Lüfte ist im wahrsten Sinne des Wortes „wie im Fluge“ vergangen.
Gelungene Erhaltungszuchten
Die Faszination der Greifvogelschau und ihr Beitrag zur Umweltbildung hängen durchaus nicht davon ab, ob die gezeigten Vögel bei uns heimisch sind. Ziel des Wildtierparks ist es jedoch, die Bezüge zum Nationalpark und seinem Umfeld herauszustellen.
Dazu möchte auch Falkner Kluthausen seinen Beitrag leisten. So hat er kürzlich bereits Turmfalken und Schleiereulen angeschafft. Verschiedene Eulenarten sollen künftig einen neuen Schwerpunkt der Tierhaltung bilden. Stolz ist Kluthausen aber insbesondere auf eine andere Neuerwerbung – ein Rotfußfalkenpaar. Die südosteuropäische Art ist bei uns zwar kein Brutvogel, kann aber als seltener Gast beobachtet werden, so im Sommer 1997 ein adultes Männchen im Edertal zwischen Mehlen und Giflitz (LÜBCKE 1998).
Immer wieder gelingen den Falknern am Edersee Erhaltungszuchten bedrohter Arten, so z. B. von Kaiseradler, Mönchsgeier und Schneeeule.
Ehrenamtliche Hilfe für verletzte Vögel
Neben der Umweltbildung erfüllt die Greifenwarte seit ihrem Bestehen eine andere Funktion, die nicht so im Licht der Öffentlichkeit steht, aber auch sehr wichtig ist. Sie unterhält ehrenamtlich eine staatlich anerkannte Pflegestation für Greifvögel und Eulen. Pro Jahr pflegen die Falkner zwischen 70 und 100 verletzte Vögel und verwaiste Jungvögel. Viele davon können wieder in die Freiheit entlassen werden. Die nicht unbeträchtlichen Futtermengen müssen die Falkner auf eigene Rechnung aufbringen, ganz zu schweigen von dem enormen Zeitaufwand, den sie für die Pflege der Tiere erbringen. Zum Teil müssen die Vögel drei bis vier Monate lang betreut werden. Diese Arbeit ist auch aus der Perspektive vieler Tierfreunde wichtig. Sie möchten den verletzten Vögeln helfen und sind froh, dass es die Pflegestation gibt, wo die Tiere fachgerecht betreut werden. Was wäre, wenn diese ehrenamtliche, kosten- und zeitaufwändige Arbeit von dieser und den anderen hessischen Pflegestationen nicht geleistet würde? Es ist nicht nachvollziehbar, dass für eine Aufgabe im öffentlichen Interesse keinerlei Mittel im Landeshaushalt zur Verfügung stehen.
Ein schönes Beispiel dafür, wie die Arbeit der Pflegestation in der Greifenwarte Edersee für die Umweltbildung und Jugendarbeit genutzt wurde, soll nicht unerwähnt bleiben. Im August 2009 konnten 14 gepflegte Turmfalken wieder in die Freiheit entlassen werden. Der Naturschutzbund Edertal (NABU) und die Falkner hatten dazu eine Idee. Neun der Schützlinge wurden im Beisein der „Edertaler Waschbären“, der örtlichen Naturschutzjugend (NAJU), freigelassen. Die Kinder nutzen die Gelegenheit, den Falknern zahlreiche Fragen über die Falken zu stellen. Sicherlich ein Höhepunkt für die jungen Naturfreunde, den sie so schnell nicht vergessen.
Wichtig ist auch die fachgerechte Beratung, wenn scheinbar verwaiste Jungvögel gefunden werden. Sie sollten nicht gleich aufgenommen, sondern allenfalls an einen sicheren Platz gesetzt werden. Oft werden sie dann von den Altvögeln weiter gefüttert.
Das zeigte sich z. B. im Juni 2010, als ein Edertaler Bürger einen voll befiederten, aber noch nicht flugfähigen Junguhu gefunden hatte. Die Falkner rieten dazu, erst einmal abzuwarten, ob nicht der Vogel weiter gefüttert würde. Und tatsächlich beobachtete ein Ornithologe noch am selben Abend in der Nähe des in einer Hecke versteckten Jungvogels einen vorbei fliegenden Altvogel. Ein paar Tage Später war dieser Jungvogel gemeinsam mit einem Geschwister voll flugfähig.
Beiträge zur Kenntnis der heimischen Vogelfauna
Und es gibt noch eine weitere Facette in der guten Zusammenarbeit der Falkner mit dem NABU Edertal. Die zur Pflege aufgenommenen Vögel geben Aufschluss über die heimische Vogelwelt. So ist die Anzahl der jährlich eingelieferten Turmfalken oder Waldohreulen neben all den anderen Meldungen auch ein Indiz für die Bestandssituation dieser Arten. Und dann sind da noch Raritäten wie z. B. Fischadler oder Uhu. Solche Informationen leitet Falkner Theo Koch an die Redaktion der jährlich erscheinenden Vogelkundlichen Hefte Edertal weiter, die sie für den avifaunistischen Sammelbericht auswertet. Auch ornithologische Beobachtungen meldet Koch für diese Dokumentation, insbesondere natürlich Greifvögel. Beispielsweise gelangen die meisten Seeadler-Beobachtungen im Bereich der Greifenwarte. Der Platz für die Flugschau bietet einen guten Blick auf den Edersee. Oft bemerken die Falkner einen vorbei fliegenden Seeadler durch entsprechende Reaktionen der von ihnen gehaltenen Vögel, z. B. durch die Warnrufe des Kaiseradlers, der sich in Brutstimmung befand (LÜBCKE 2000 u. 2010).
Bisweilen sind unter den Pfleglingen der Greifenwarte auch beringte Vögel, die an die Vogelwarte Helgoland gemeldet werden.
Dazu nur ein aktuelles Beispiel:
Ein Fischadler hatte sich am 11.04.2010 in den Kormoran-Schutznetzen einer Fischzuchtanlage bei Schauenburg (Landkreis Kassel) verfangen und verletzt. Der Besitzer der Teichanlage brachte den Vogel in die Pflegestation der Greifenwarte Edersee, aus der er am 03.05. wieder gesund in die Freiheit entlassen werden konnte. Es stellte sich heraus, dass der Fischadler am 06.07.2004 als Nestling in Tammisaari (SF87) Uusimaa (Nyland) in Finnland beringt worden war.
Text. Wolfgang Lübcke